Zehn bewährte Tipps für Ihre alltägliche Zusammenarbeit mit den Angehörigen
Sie haben in diesem Modul Ihres Online-Trainings bereits viel über die Bedeutung und die Einbindung der pflegenden Angehörigen in Ihre Arbeit mit den Menschen mit Demenz gelernt. In dieser Lektion geben wir Ihnen nun zehn Tipps an der Hand, die sich bei der Zusammenarbeit mit den Angehörigen bewährt haben.
1. Tipp: Transparenz: Erklären Sie, was Sie tun und warum
In der eigentlichen Bedeutung heißt Transparenz so viel wie Durchlässigkeit. Im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit im Allgemeinen und der Arbeit mit den Angehörigen im Besonderen meint Transparenz in erster Linie, dass Ihre Arbeitsweise nachvollziehbar ist. Das bezieht sich auf Ihr Konzept, Ihre Arbeitsweise und Ihre Arbeitsabläufe und nicht zuletzt auch auf Ihr Verständnis von Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz.
Vielleicht erklären Sie, dass eine entspannte und gelassene Haltung im Umgang mit dem Erkrankten, die so wenig wie möglich korrigiert und auf Fehler hinweist, aus Ihrer Sicht eine gute Pflege bedeutet. Unter Umständen kann dies aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die demente Ehefrau zwar nicht ihre sauberste Bluse anhat, aber dafür voller Zufriedenheit und Stolz ihre Lieblingskleidung präsentiert.
Erläutern Sie den Angehörigen diese Aspekte ausführlich. Nehmen Sie sich Zeit für diese Erläuterungen, und zwar im Vorhinein. Am besten schon dann, wenn Angehörige sich nur über Ihre Angebote und Leistungen informieren wollen. Dazu gehört auch, offen und ehrlich zu kommunizieren, welche Möglichkeiten und Grenzen in Ihrer Tätigkeit bestehen. Manchmal erwarten Angehörige wahre „Wunder“ von der professionellen Pflege, z. B. dass die Mutter sich immer widerstandslos von Ihnen baden lässt, wenn Sie kommen, oder dass sich durch die Betreuung im Ergebnis die geistige Leistungsfähigkeit verbessert.
Zusätzlich sollten Sie auch bezüglich der Kosten für Ihre angebotenen und durchgeführten Leistungen transparent sein. Für Angehörige ist es wichtig, dass sie nachvollziehen können, welche Leistungen sie zu welchen Kosten bekommen.
Ebenso wichtig ist, dass Sie explizit darstellen, welche weiteren Hilfen unter Umständen in Betracht gezogen werden können. Damit sind nicht nur Ihre eigenen Angebote gemeint, sondern auch andere, ergänzende Möglichkeiten, unter Umständen auch von anderen Trägern, wie z. B:
- Tagespflege zusätzlich zum Pflegedienst
- Kurzzeitpflege für eine kurze Auszeit zur Erholung
- Betreuungsgruppe der Alzheimer-Gesellschaft
- Angehörigen-Gesprächskreis bei der Kirche
Seien Sie nicht nur bezüglich Ihrer eigenen Angebote transparent, sondern auch hinsichtlich aller anderen Möglichkeiten in Ihrer Region. Nehmen Sie dafür Kontakt zur regionalen Alzheimer-Gesellschaft, einer entsprechenden Beratungsstelle oder einem Pflegestützpunkt auf. Dort wird man Sie über die vorhandenen Angebote informieren, ggf. auch mit entsprechendem Informationsmaterial versorgen, das Sie an die Angehörigen weitergeben können. Die Angehörigen wissen dies zu schätzen. Sie erleben, dass Sie ehrlich und professionell agieren. So schaffen Sie hinsichtlich Ihrer Tätigkeit und Professionalität eine Vertrauensbasis, die letztlich dazu führt, dass sich eine gute Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Angehörigen entwickeln kann.
2. Tipp: Seien Sie tolerant
Es gibt sehr viele unterschiedliche Lebensentwürfe. Und es gibt auch sehr viele unterschiedliche Menschen. Und es gibt ebenso viele verschiedene Entwürfe für das Führen von Beziehungen. Jeder Lebensentwurf, jede langjährige Beziehung mit ihren Rollenverteilungen und gewachsenen Machtgefügen hat erst einmal ihre Berechtigung und sollte von Ihnen akzeptiert werden, solange keine strafbaren oder menschenverachtenden Handlungen daraus erwachsen. Das heißt, Sie müssen Ihren Pflegekunden und den Angehörigen Toleranz und Akzeptanz für deren Lebensentwurf und deren Art, ihre Beziehung zu führen, entgegenbringen.
Dazu gehört auch die Akzeptanz der Lebensgewohnheiten und Eigenheiten des Demenzkranken. Wenn Sie den Erkrankten so annehmen, wie er ist, wenn Sie die Situation in der Häuslichkeit zunächst einmal so tolerieren, wie sie ist, und die Wünsche und Bedürfnisse der Familien weitestgehend akzeptieren und nicht vorschnell urteilen und bewerten, können Sie sich viel leichter den Zugang zu den Angehörigen und damit auch zu den Demenzerkrankten eröffnen.
Machen Sie sich bewusst, dass es nicht die beste Lösung für alle gibt. Von außen betrachtet wissen wir vielleicht um die optimale Lösung für ein Problem, aber jede Familie, jede Beziehung funktioniert anders und hat ihre eigenen Regeln und Gesetze. So mag es aus unserer Sicht manchmal wirklich seltsame Umgangs- oder Kommunikationsformen zwischen Paaren geben, aber meistens sind diese über Jahrzehnte gewachsen, haben in gewisser Weise ihre Berechtigung, tragen vielleicht sogar zum Wohlbefinden der Erkrankten bei, weil sie sie einfach „gewohnt“ sind. Auch wenn wir insgeheim denken: „Mit solch einem dominanten Partner könnte ich nicht zusammenleben“, vermittelt diese Dominanz des Angehörigen dem Erkrankten gegenüber diesem vielleicht Sicherheit und Geborgenheit.
Familiensysteme, in denen ein Mensch mit Demenz im Zentrum steht, sind gravierenden Veränderungen ausgesetzt. Nicht nur die Erkrankten, sondern auch die Angehörigen versuchen vielfach, an Bisherigem festzuhalten. Jede Neuerung ist sowohl für den Erkrankten wie auch für die Angehörigen nicht einfach umzusetzen und anzunehmen. Akzeptieren Sie die Entscheidungen der Angehörigen und auch die Geschwindigkeit, in der die Anpassungsprozesse in der Familie vonstattengehen.
3. Tipp: Nutzen Sie Fallbesprechungen zur Reflexion
Die Arbeit mit Menschen mit Demenz erfordert eine größtmögliche Reflexion – von Ihnen, aber auch von den Angehörigen. Die Betroffenen können häufig nur unzureichend über ihre Situation entscheiden, ihre Wünsche und Bedürfnisse formulieren. Sie als Pflegekraft können nicht alles wissen und richtig machen. Hier ist ein Team hilfreich. Im Team, das heißt mit allen, die an der Pflege und Betreuung des Menschen mit Demenz beteiligt sind, gemeinsam zu reflektieren und sich gemeinsam Gedanken zu machen, die verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen zusammenzutragen: Das kann den Weg für neue Lösungen öffnen. Sie sollten im Team unter Einbeziehung der Sichtweise der Angehörigen reflektieren. Laden Sie die Angehörigen ein, an einem gemeinsamen Fallgespräch für „ihren“ Demenzkranken teilzunehmen. Stellen Sie sich im Vorwege solcher Fallgespräche für sich selbst folgende Fragen:
- Wie würde es mir gehen, wenn es mein Partner / Elternteil wäre?
- Wie würde ich mir wünschen, dass man mit mir umgeht?
Intensivieren Sie Ihr Verständnis für die Situation der Angehörigen, und lassen Sie sie wissen und spüren, dass Sie sie in ihren Sorgen und Nöten sehen können. So bringen Sie den pflegenden Angehörigen Anerkennung und Wertschätzung für ihre wichtige Rolle entgegen.
4. Tipp: Klären Sie frühzeitig, wer wofür Ansprechpartner ist
Ohne explizit über das Prinzip der Bezugspflege sprechen zu wollen, die im Zusammenhang mit der Pflege von Demenzerkrankten einen hohen Stellenwert hat, ist es auch für die Angehörigen von großer Wichtigkeit, verlässliche Ansprechpartner für ihre Fragen, Sorgen, Nöte, aber auch für ihre Kritik zu haben. Klären Sie deshalb frühzeitig, wer für welche Fragen der Angehörigen der richtige Ansprechpartner ist. Dazu gehört natürlich auch, dass diese Anfragen und ggf. auch die Kritik verlässlich weitergeleitet und bearbeitet werden.
Gleichzeitig sollten Sie sich eines weiteren Aspekts bewusst sein – auch die Angehörigen sind Ansprechpartner:
- Sie sind Experten für die Wünsche, Bedürfnisse und Eigenheiten der Erkrankten.
- Sie sind die Experten für die Biografie des Erkrankten.
- Sie sind die Experten für die alltäglichen Rituale und Lebensgewohnheiten.
Nutzen Sie die Angehörigen als hilfreiche Unterstützung, indem Sie diese wichtigen Dinge immer wieder erfragen. Auch hier werden sich die Angehörigen in ihrer Rolle angenommen und akzeptiert fühlen.
5. Tipp: Lassen Sie sich auf die Angehörigen ein
Angehörige – insbesondere Ehe- und Lebenspartner – werden im Verlauf der Demenzerkrankung eines geliebten Menschen immer einsamer. Es wird für sie vielfach immer schwieriger, verständnisvolle Menschen zu finden, mit denen sie über ihre Situation sprechen können und die sie verstehen. Auch hier kommt Ihnen als Pflegekraft eine besondere Bedeutung zu. Es geht nicht darum, eine Freundschaft zu den Angehörigen aufzubauen. Professionelle Distanz ist auch für Sie wichtig. Aber diese professionelle Distanz sollte nicht dazu führen, dass Sie keine Nähe zu den Angehörigen zulassen. Diese Nähe stellen Sie her, wenn Sie Verständnis für die Situation der Angehörigen zeigen. Fragen Sie auch ruhig die Angehörigen einmal, wie es ihnen geht, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf den Erkrankten. Haben Sie einen Blick für Gemeinsamkeiten in Ihrem Leben: Erlebnisse, die sich ähneln, Erfahrungen, die identisch sind, gleiche Orte, an denen man gelebt hat, der gleiche Dialekt, den man beherrscht. Geben Sie den Angehörigen das Gefühl, bezogen auf ihren Demenzerkrankten ein Teil des Teams zu sein. Vermitteln Sie den Angehörigen, dass Sie alle ein gemeinsames Ziel haben: die möglichst gute Pflege und Betreuung des Erkrankten und das Schonen der Kräfte des Angehörigen.
Darüber hinaus können Sie Nähe herstellen durch Respekt vor der Lebensleistung Ihrer Klienten und Wertschätzung des bisher in der Pflege und Betreuung Geleisteten. Ebenso durch Verlässlichkeit und nicht zuletzt durch Interesse – beispielsweise an der Biografie des Erkrankten.
6. Tipp: Helfen Sie bei Schuldgefühlen
Schuldgefühle machen es den pflegenden Angehörigen eines Menschen mit Demenz manchmal schwer, objektiv und realistisch Ihre Arbeit und Leistung als Pflegekraft zu bewerten. Die Angehörigen sind dann unter Umständen besonders kritisch oder auch ungerecht gegenüber den von Ihnen als Pflegekraft angebotenen und geleisteten Hilfen.
Helfen Sie den Angehörigen in solchen Situationen wie folgt:
- Zeigen Sie Verständnis für die schwere Situation.
- Versuchen Sie, ihnen zuzuhören.
- Signalisieren Sie den Angehörigen Ihre Anerkennung für das bisher Geleistete, und versuchen Sie, ihnen zu vermitteln, dass sie weiterhin sehr wichtig sind.
- Machen Sie deutlich, dass Sie als Pflegekraft nur für einen Teil des Wohlbefindens des Erkrankten zuständig sind und dass die Angehörigen dennoch die wichtigsten Personen im Leben des Erkrankten bleiben können.
Es ist gut, den Angehörigen die Notwendigkeit der Selbstsorge immer wieder zu vermitteln (nur wer gut für sich sorgt, kann auch gut für andere sorgen). Verdeutlichen Sie dabei auch, dass Ihre Arbeit als Pflegekraft schön, aber auch anstrengend und aufreibend ist und dass Sie diese Arbeit nur bewältigen, weil Sie abends nach Hause gehen, weil Sie immer wieder auch mal Urlaub machen und weil Sie im Team arbeiten. Genau das fehlt nämlich vielen Angehörigen von Demenzerkrankten in ihrem Leben.
7. Tipp: „Übersetzen“ Sie die gesetzlichen Vorgaben
Auch die Gesetzgebung spielt eine Rolle – für Ihre Arbeit, für die angebotenen Leistungen, für die Finanzierungsmöglichkeiten dieser Leistungen und natürlich für deren Begrenzung. Versuchen Sie, Verordnungen, Vorgaben, Finanzierungen, Gesetze nachvollziehbar zu erläutern. Wir alle wünschen uns mehr Pflegekräfte, die mehr Zeit für die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz haben. Damit unterscheiden Sie sich nicht von den Angehörigen, sondern Sie teilen das gleiche Interesse. Versuchen Sie, die Angehörigen als Verbündete zu sehen, und es zu schaffen, dass diese auch Sie als Verbündeten betrachten.
8. Tipp: Rechnen Sie mit Eifersucht der Angehörigen
Es ist manchmal für die pflegende Tochter oder den pflegenden Ehemann schwer, wenn sie wahrzunehmen, dass Sie als Pflegekraft wesentlich besser mit dem Menschen mit Demenz zurechtkommen. Dass Sie als „fremde Person“ es schaffen, dass der Betroffene sich beispielsweise duschen lässt oder so charmant im Gespräch ist. Eifersucht ist hier das Thema.
Verdeutlichen Sie den Angehörigen in solchen Situationen, dass Sie eine ganz andere Rolle haben als der Ehepartner oder das Kind des Erkrankten. Manchmal fällt es den Erkrankten tatsächlich viel leichter, vor Fremden die Fassung zu wahren, eine Fassade aufrechtzuerhalten. Das macht den Zugang dann leichter.
Zudem gibt es natürlich einen gravierenden Unterschied zwischen professioneller und familiärer Pflege. Erläutern Sie den Angehörigen, dass Pflege oftmals leichter und unbelasteter ist, weil es keine gemeinsame Geschichte gibt. Vielleicht können Sie sogar aus eigener Erfahrung anmerken, dass es für Sie sehr schwer wäre, einen eigenen Familienangehörigen zu pflegen. Viele Erkrankte können es auch kaum zulassen, sich vor den eigenen Kindern oder Ehepartnern hilfebedürftig und schwach zu zeigen. Vor fremden Menschen gelingt dies manchmal viel leichter.
9. Tipp: Klären Sie über das Krankheitsbild „Demenz“ auf
Auch wenn das Thema „Demenz“ mittlerweile relativ häufig in den Medien präsent ist, ist es dennoch für sehr viele Angehörige schwer nachzuvollziehen. Insofern kommt Ihnen als Pflegekraft eine Expertenfunktion zu. Versuchen Sie, das Verständnis für und das Wissen um das Krankheitsbild „Demenz“ bei den Angehörigen zu stärken. Geben Sie Informationen zu Umgang und Kommunikation. Vielleicht auch durch Hinweise auf Angebote von Beratungsstellen, Alzheimer-Gesellschaften oder ähnlichen Institutionen. Aber bemühen Sie sich, kein „überheblicher Experte“ zu sein. Viele erfahrene Pflegekräfte erleben selbst, wie schwer es ist, wenn in der eigenen Familie eine Demenzerkrankung auftritt. Die Unterscheidung von Krankheit und Persönlichkeit („So war er auch früher schon immer“; „Sie hat nie richtig zugehört“) ist für Angehörige manchmal schwierig.
Wenn irgend möglich versuchen Sie, bei den Angehörigen den Blick für die noch vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen bei dem Erkrankten zu schärfen. Nicht nur, weil es für die Pflege und Betreuung sinnvoll ist und die Erkrankten sich durch das Anknüpfen an ihre Fähigkeiten und Ressourcen wohler fühlen, sondern auch, weil Sie sich damit als Experte das Vertrauen der Angehörigen erarbeiten können.
10. Tipp: Binden Sie die Angehörigen ein
Pflegende Angehörige brauchen das Gefühl, weiterhin wichtig zu sein. Auch wenn zentrale Aufgaben der Pflege von Ihnen übernommen oder die Erkrankten stationär gepflegt werden, bleiben die Angehörigen die wichtigsten Bezugspersonen für die Erkrankten. Eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Angehörigen kommt den Erkrankten zugute. Atmosphärische Störungen zwischen Ihnen und den Angehörigen spüren in vielen Fällen auch die Demenzkranken, wodurch die Pflege erschwert wird.
Versuchen Sie, gemeinsam mit den Angehörigen herauszuarbeiten, wofür die professionelle Pflege steht und wofür die Angehörigen wichtig sind. Eine gute Aufgabenteilung und eine klare Struktur geben den Erkrankten Sicherheit und erleichtern es den Angehörigen, sich verantwortlich und wichtig zu fühlen. Binden Sie insofern die Angehörigen ein, nicht, indem Sie ihnen vorgeben, wie es laufen muss, sondern indem Sie auf Augenhöhe mit ihnen abstimmen, wer wofür zuständig ist. Dazu gehört auch, dass Sie die Angehörigen als Experten für ihre Erkrankten anerkennen, beispielsweise in Bezug auf die Gewohnheiten und Rituale oder die Biografie.
Wenn Sie darüber hinaus für die Anregungen und die Kritik der Angehörigen offen sind und dies auch deutlich zeigen, wird sich nicht nur Ihre Arbeit weiterentwickeln, sondern Sie machen die Angehörigen damit zu Partnern in der Pflege – eine Form von Einbindung, die die Arbeit grundlegend erleichtern kann.